Die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie sieht sich in einer schwierigen Situation. Zwar habe der Umsatz der Branche das Vor-Corona-Niveau inzwischen beinahe wieder erreicht. Treiber von Umsatzzuwächsen der vergangenen Jahre sei allerdings vornehmlich die Inflation. Die Produktionsmenge liege bis dato 15 bis 20 Prozent hinter den Zahlen von 2019. Besonders zu schaffen machen den Unternehmen zusätzliche bürokratische Vorgaben und steigende Produktionskosten bei gleichzeitig abflauendem Konsum. Dieses Resümee zog Dr. Wilfried Holtgrave, Präsident des Verbandes der Nordwestdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie e. V. im Rahmen des 18. jährlichen Branchengespräch des Verbandes. Von der Politik, vertreten durch Mona Neubaur, Landesministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie, forderte Holtgrave mehr Unterstützung bei der Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Textilwirtschaft. Nötig sei vor allem, Bürokratie abzubauen.
Die Textilindustrie in Nordrhein-Westfalen hat sich zu einer interdisziplinären High-Tech-Branche entwickelt, die weltweit gefragte technische Textilien produziert. Sie ist innovativ, flexibel, zunehmend nachhaltig – und könnte noch viel erfolgreicher sein, wenn sie nicht an vielen Stellen durch Vorschriften und Regularien von erkennbar beschränktem Nutzen ausgebremst würde. Dieses Fazit zogen in der vergangenen Woche führende Branchenvertreter auf ihrem jährlichen Verbandstreffen, das diesmal beim Vliesstoffhersteller TWE in Emsdetten stattfand.
Bürokratie geht zulasten von Produktivität und Wertschöpfung
Ein Paradebeispiel dafür, so Holtgrave an die Adresse der ebenfalls anwesenden Landesministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie, Mona Neubaur, sei das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, bei dem Aufwand und Nutzen in einem besonders krassen Missverhältnis stünden. Allein die Leitlinien für die Unternehmen hierzu umfassten mehrere hundert Seiten. Im Ergebnis binde das Führen der verlangten Nachweise und deren Prüfung und Überwachung Personal, das dann für die Produktion nicht zur Verfügung stünde. An dieser Stelle gehe die Bürokratie so voll zulasten der Produktivität und Wertschöpfung einer ganzen Branche. „Und das alles für ein Gesetz, das demnächst – wenn die EU eine europäische Regelung trifft – ohnehin grundlegend überarbeitet werden muss“, monierte Holtgrave. Ein weiteres Problem seien die nach wie vor viel zu hohen Energiekosten, die einen enormen Standortnachteil für in Deutschland produzierende Unternehmen darstellten.
Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen
Neubaur ihrerseits lobte in ihrem Grußwort ausdrücklich das klare Bekenntnis der nordrhein-westfälischen Textil- und Bekleidungsindustrie zu Freiheit und Demokratie. Sie freue sehr darüber, die Branche im Kampf gegen den Rechtsextremismus an ihrer Seite zu wissen. Darüber hinaus kündigte die Ministerin an, beim Bürokratieabbau genauso unterstützen zu wollen wie bei der Vereinfachung und der Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Dazu beitragen sollen künftig vor allem mehr automatisierte, digitale Prozesse. Einen weiteren Beitrag wolle sie leisten, indem sie helfe, die verschiedenen Akteure der Branche – Unternehmen, Forschung, öffentliche Einrichtungen – besser untereinander zu vernetzen.
Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit vereinen
Zuvor hatte Hausherr Jörg Ortmeier, CEO von TWE, dargelegt, wie sich wirtschaftliches und nachhaltiges Handeln im Textilbereich miteinander vereinbaren lassen. Die Lösung, mit der TWE dies gelingt, trägt den bezeichnenden Namen rePEaT Circular und zielt auf das Recycling Polyester-basierter Abfälle. „Darüber hinaus hat unser Konzept aber auch eine starke soziale Komponente“, berichtete Ortmeier. So arbeite TWE seit 2021 mit der Plastic Bank zusammen, die Menschen in Entwicklungsländern dafür bezahlt, Plastik aus der Umwelt zu sammeln, um es der Wiederverwertung zuzuführen. „Auf diese Weise bieten wir vielen Menschen die Möglichkeit, ein Einkommen zu generieren, das sie sonst nicht hätten und reduzieren gleichzeitig unseren Rohstoffeinsatz.“
Mit Geotextilien CO2-Emissionen senken
Wie der Einsatz von Geotextilien zu mehr Nachhaltigkeit und einem besseren Umweltschutz führt, referierte Dr. F.-Hans Grandin, Vorsitzender der Geschäftsführung der HUESKER Synthetic GmbH mit Sitz in Gescher. Die speziellen Textilien, die Grandin zufolge sowohl im Erd- und Grundbau als auch im Wasserbau, im Straßen- und Verkehrswegebau und in der Umwelttechnik eingesetzt werden, verursachten im Vergleich mit konventionellen Bauweisen bis zu 98 Prozent weniger CO2-Emissionen. Anschaulich machte Grandin das immense Einsparpotenzial von Geotextilien am Beispiel einer 4500 m² großen Deponiefläche. Deren Abdichtung im klassischen Verfahren – mittels einer 50 Zentimeter dicken Tonschicht – erfordere 175 bis 225 Lkw-Transporte. Würden stattdessen Bentonitmatten eingesetzt, mit denen dasselbe Ergebnis erzielt werde, fände das gesamte benötigte Material hingegen auf nur einem Lkw Platz. „Damit können unsere Produkte maßgeblich dazu beitragen, den CO2-Ausstoß in der Baubranche dauerhaft zu senken“, so Grandin.
Ressourcen effizienter nutzen
Ressourcen effizienter nutzen, diesem Ziel hat sich auch die Velener Textil GmbH verschrieben – und dafür ein eigenes Verfahren namens WECYCLED konzipiert, das im Weiteren von Geschäftsführer Ernst Grimmelt vorgestellt wurde. Ziel sei es, auch bislang ungenutzte Garn- und Gewebereste zu verarbeiten. Das Recycling dieses Materials gestalte sich vor allem deshalb schwierig, weil die Fasern kürzer seien als die von Rohbaumwolle. Daraus neues Material bester Qualität zu machen, erfordere viel Erfahrung und fortschrittlichste Technologie. „Diesen Aufwand hat angesichts des Preisdrucks auf dem Markt bislang niemand betrieben“, sagte Grimmelt. Mit intensiver Entwicklungsarbeit habe die Spinnerei aus Velen nun die reste-freie Baumwollverarbeitung zur Marktreife gebracht. Das Besondere daran sei aber nicht nur die eingesetzte Technik, sondern das gesamte Verfahren, an dem Menschen mit Behinderung einen wesentlichen Anteil haben. „Denn sie trennen das Garn von der Pappspule und schaffen so überhaupt erst die Voraussetzung für das Recycling beider Stoffe: nämlich die Sortenreinheit“, erklärte Grimmelt. „Auf diese Weise leistet unser Konzept nicht nur einen Beitrag zum Umweltschutz. Indem es Menschen mit Handicap die Teilnahme am Arbeitsleben ermöglicht, hat es auch eine wichtige gesellschaftliche Funktion.“
Die Textilfabrik 7.0
Einen Blick in die Zukunft der Branche warfen schließlich Detlef Braun, Leiter der ZiTex, und Prof. Dr. Maike Rabe vom Fachbereich Textil- und Bekleidungstechnik der Hochschule Niederrhein. Unter dem Titel „Textilfabrik 7.0“ skizzierten sie ein Modellprojekt für die industrielle Textilproduktion im Jahr 2035, das nicht nur neue Arbeitsplätze im Rheinischen Revier generieren, sondern auch im globalen Kontext wettbewerbsfähig sein soll. Gelingen soll das durch die Kombination wichtiger Nachhaltigkeitsfaktoren – Co2-neutrale Produktion, erneuerbare Energien, Kreislaufwirtschaft – mit wesentlichen Elementen der Digitalisierung – Robotik, Künstliche Intelligenz, Blockchain – und der Biotechnologie. Mit der anstehenden Unterzeichnung des Gesellschaftsvertrags für die Projektgesellschaft habe man den Konzeptstatus inzwischen hinter sich gelassen, berichtete Braun. Als nächstes auf dem Plan stehe nun die Beantragung der benötigten Fördergelder in Höhe von rund 29 Millionen Euro. Ab 2031 soll das Modell dann seine letzte Ausbaustufe erreicht haben und sich selbst tragen.
Weiter wichtiger Wirtschaftszeig
Mit 227 Betrieben zählte die Textil- und Modeindustrie in NRW 2022 insgesamt sieben weniger als 2021. Das ist ein Rückgang um drei Prozent. Damit einhergehend sank auch die Zahl der Beschäftigten, von 22.445 in 2021 auf 21.863 in 2022 (-2,6 Prozent). Im gleichen Zeitraum stieg der Umsatz der in NRW beheimateten Unternehmen von 4,81 auf 5,03 Milliarden Euro (+4,5 Prozent). Im bundesdeutschen Vergleich liegt die Branche in NRW damit in allen drei Bereichen vor Bayern auf Platz zwei und Baden-Württemberg auf Rang drei und ist als essenzieller Bestandteil vieler industrieller Lieferketten ein bedeutender Wirtschaftszweig.
ZiTex - Textil & Mode NRW
ZiTex - Textil & Mode NRW ist 1996 als Initiative zur nachhaltigen Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Textil- und Bekleidungsindustrie mit Partnern aus Unternehmen, Verbänden, Gewerkschaft, Banken, Kammern und Landesregierung gegründet worden. Träger der ZiTex - Textil & Mode NRW sind heute der Verband der Nordwestdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie e.V. (Münster), der Verband der Rheinischen Textil- und Bekleidungsindustrie e.V. (Wuppertal) und die IG Metall Bezirksleitung NRW (Düsseldorf). Dieses Trägermodell der Tarifpartner ist in diesem Umfang in Europa einzigartig und versetzt ZiTex NRW in die Lage, als Vertreter der gesamten Branche zu operieren.
21.02.2024