Viele Menschen dürften mit dem Wort „Textil“ noch immer vor allem Bekleidung oder Stoffe wie Tischdecken und Vorhänge verbinden. Tatsächlich aber sind Textilien heute viel mehr. Sie haben sich zu Werkstoffen entwickelt, die erstaunliche Funktionen möglich machen. Sie können leuchten, Energie speichern oder sogar als künstlicher Muskel eingesetzt werden.
Ein solcher Muskel wurde jetzt am Hohenstein Institut für Textilinnovation entwickelt. Bereits im Jahr 2014 hatte eine amerikanische Forschergruppe gezeigt, dass verdrillte Polymergarne Wärmeenergie in Bewegungsenergie umwandeln können. In eigenen Experimenten haben die Experten vom Hohenstein Institut dieses Prinzip jetzt technisch weiterentwickelt.
Wärme lässt Garn kontrahieren
Es ist ihnen gelungen, spezielle Polymergarne herzustellen, deren Bewegung sich sehr präzise steuern und beliebig oft wiederholen lässt; wie bei einem Muskel, dessen Fasern sich beim Heben eines Gewichtes fein gesteuert zusammenziehen. Die Forscherinnen und Forscher haben sowohl mit Einzelgarnen als auch mit metall-umwickelten Garnen experimentiert. Erhöhten sie die Temperatur, kontrahierte das Garn um bis zu fünf Millimeter. Auf den ersten Blick scheint das wenig zu sein. Tatsächlich aber gibt es für solche Muskelfasern eine ganze Reihe potentieller Anwendungen. So lassen sich damit relativ einfach Schaltelemente und Aktoren für Steuerungen und Anlagen herstellen – etwa für die Robotertechnik. Denkbar sind sogar kontrahierbare flächige Gewebe.
Einfach und in großen Mengen herstellbar
Die Stärke solcher textilen Ansätze liegt darin, dass sie im Vergleich zu vielen anderen technischen Lösungen, etwa elektronischen Konzepten, zügig und in großen Mengen herstellbar sind – im Idealfall als Meterware. Ein solches Beispiel liefert das Faserinstitut Bremen, das poröse Fasern mit isolierender Wirkung entwickelt hat. Diese Fasern werden im sogenannten Schmelzspinnprozess erzeugt. Dem Polymer, aus dem die Fasern bestehen, wird ein Treibmittel zugesetzt, dass sich beim Erwärmen ausdehnt. So entstehen in der Faser die Poren. Wie sich zeigte, absorbieren diese Hohlräume sowohl Wärme als auch Schall. Das Ziel der Bremer ist es jetzt, aus diesen Fasern textile Matten herzustellen, die bei verschiedenen Geräten und Maschinen künftig als Absorberschicht dienen und sowohl den Lärm als auch die Hitze von Motoren dämpfen können.
Textile Solarheizung
Eine textile Lösung, die Wärme nicht nur absorbiert, sondern auch speichern kann, haben Forscher vom DITF-Institut für Textil- und Verfahrenstechnik entwickelt. Damit soll künftig Solarwärme genutzt werden. Das System besteht aus zwei textilen Komponenten: einem Sonnenkollektor, der die Wärmestrahlung effizient absorbiert und einem sogenannten Latentwärmespeicher, der sie für längere Zeit speichert. Die Absorberschicht besteht aus einem schwarzen Abstandstextil, dass die Sonnenwärme aufnimmt und von einem Luftstrom durchzogen wird. Dieser Luftstrom nimmt die Wärme auf und gibt sie dann an den Latentwärmespeicher ab. Der besteht aus fein verstrickten Filamenten, die die Wärme sehr gut speichern.
Sobald man Wärme zum Heizen von Räumen benötigt, wird dieser Wärmespeicher wiederum von Luft durchströmt, welche die Wärme erneut aufnimmt und in die Räume transportiert. Auch dieses System zeichnet sich dadurch aus, dass es verblüffend einfach funktioniert und damit technisch recht einfach umzusetzen ist. Es eignet sich besonders für kleine und mittlere Unternehmen, die die Technik relativ schnell in Produkte umsetzen möchten.
Arzneimittelrückstände einfach neutralisieren
Seit langem werden Textilien auch als Filter genutzt. Oft handelt es sich dabei um einfache textile Netze mit verschiedenen Maschenweiten, die Partikel unterschiedlicher Größe zurückhalten können. Moderne Filter können noch viel mehr. Das zeigen zwei aktuelle Projekte, in denen Filter entwickelt werden, die zurückhalten können, was bislang kaum zu fassen war. So werden im Projekt Enz4Water am Deutschen Textilforschungszentrum Nord-West in Krefeld derzeit Filter entwickelt, die Arzneimittelrückstände und andere problematische Spurenstoffe in Abwässern unschädlich machen. Diese Filter sollen künftig bei der Aufrüstung von Kläranlagen eingesetzt werden. Bislang nutzt man Ozon-Anlagen, um Arzneirückstände und dergleichen zu zerstören. Doch bei dieser „Ozonierung“ können Abbauprodukte entstehen, die ihrerseits gesundheitsschädlich sind. Die in Enz4water entwickelten Filter haben die Aufgabe, die im Wasser in extrem geringer Konzentration enthaltenen Abbauprodukte zu neutralisieren. Dazu werden die Filtertextilien mit Enzymen beschichtet, die normalerweise in Pilzen vorkommen. Diese sind in der Lage, die Abbauprodukte enzymatisch umzubauen und in neutrale Substanzen zu wandeln. Im Laufe des Projektes, das 2022 abgeschlossen sein soll, wird der Enzym-Filter in einer Kläranlage getestet werden.
Noch einen Schritt weiter geht ein aktuelles Projekt am DTNW, das die Behandlung mit Ozon ganz ersetzen soll. In diesem Projekt werden spezielle Filtervliese entwickelt, die die Spurenstoffe selbst absorbieren – eine vergleichsweise einfache und günstige Methode. Interessant ist der Filter insbesondere für Nordrhein-Westfalen und andere Regionen, in denen Trinkwasser über Uferfiltrat aus Oberflächengewässern gewonnen wird. Diese sind vielfach mit schädlichen Spurenstoffen belastet.