Die Sorgenfalten der deutschen Textilindustrie werden größer: Aktuell sorgt die restriktive EU-Chemikaliengesetzgebung für Ärger und Unsicherheit. Im Zentrum der Kritik stehen die Vorgaben und eine nochmals drastisch verkürzte Übergangsfrist zur Verwendung von sogenannten Fluorpolymeren, die nun schon ab Dezember deutlich eingeschränkt werden soll. Während es beispielsweise für den Einsatz in wasserabweisender Outdoorkleidung bereits Alternativen gibt, fehlen diese für die deutlich stärker beanspruchte Arbeitsschutzkleidung von Polizisten, Feuerwehrleuten oder medizinischem Personal. Nach Ansicht der Branche ist das auch vor dem Hintergrund der Coronakrise ein fatales Signal. Die Akteure appellieren an die Politik.
Dr. Markus Strauß, Leiter Umweltabteilung des Verbandes der Nordwestdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie, kritisiert die steigenden Belastungen und die zunehmenden Einschränkungen für die heimische Produktion durch die EU-Gesetzgebung. „Wir sehen die Gefahr, dass Teile der Branche durch die restriktive europäische Chemikalienpolitik ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Das Ziel muss sein, weiter in Deutschland und Europa zu produzieren und die Industrie am Standort zu stärken.“ In der Kritik stehen die Restriktionen zum Einsatz von Fluorpolymeren, die in der sogenannten REACH-Verordnung[1] geregelt sind. Diese gibt vor, welche Chemikalien für die Herstellung von Textilien erlaubt sind.
Sicherheit der Anwender von Schutzkleidung gefährdet
Fluorpolymere werden benötigt, um Gewebe beispielsweise wasser-, schmutz- oder ölabweisend zu machen oder den Anwender vor Gefahrstoffen zu schützen. Sie kamen unter anderem in Freizeitkleidung zum Einsatz, etwa zum Schutz vor Regen. Für diesen Bereich gibt es bereits alternative Stoffe mit vergleichbarer Wirkung. „Problematisch wird es jedoch dort, wo hohe Anforderungen an die ausgerüsteten Gewebe gestellt werden – zum Beispiel bei Arbeitsschutzbekleidung für Polizei oder Feuerwehren, aber auch im medizinischen Bereich. Hier gibt es bislang keine Alternativen, die für ein annähernd hohes Schutzniveau sorgen“, erklärt Strauß. Die Chemikalie wird beispielsweise bei der Produktion von Feuerwehranzügen, schusssicheren Westen oder für einen OP-Schutz, der alle Viren- und Bakterienklassen umfasst, eingesetzt. Das EU-Verbot habe großen Einfluss auf diese wichtigen Anwendungsbereiche von Fluorpolymeren und gefährde die Sicherheit der Anwender, so Strauß.
Für Ärger sorgt auch der Zeitplan der EU. Die ursprünglich in REACH vorgesehene Übergangsfrist für die am besten wirkende Hilfsmittelgruppe, die sogenannte C8-Chemie, wird massiv verkürzt. Für Medizinprodukte war eine Übergangsfrist bis 2032 vorgesehen, für persönliche Schutzausrüstung bis 2023. Nun hat die EU die Genehmigung für die Verwendung von Fluorpolymeren bereits zum Dezember dieses Jahres deutlich eingeschränkt. „Die Industrie hatte für zahlreiche Anwendungsbereiche Ersatzchemikalien entwickelt und es nur durch große Anstrengungen geschafft, die in den Normen geforderten Schutzniveaus der Bekleidung zu erfüllen“, sagt Strauß. Diese Bemühungen seien nun umsonst gewesen, da mit den weiteren Restriktionen auch diese Ersatzstoffe verboten werden sollen.
Verlagerung der Produktion außerhalb der EU droht
Ziel der EU-Maßnahmen ist der Schutz der Umwelt. Durch das Verbot sollen bei der Produktion Einträge in die Umwelt vermieden werden. Für Strauß eine Scheindebatte. „Mit der Begründung, den Eintrag von Chemikalien im Nanogramm-Bereich, also im Verhältnis von eins zu einer Milliarde, in die Umwelt zu verhindern, wird die Industrie durch Schnellschüsse ihrer Wettbewerbsfähigkeit beraubt. Die Maßnahmen sind nicht verhältnismäßig.“ Es bestehe das Risiko, dass in Europa überhaupt keine Schutzkleidung mehr verkauft werden dürfe, die die bisherigen Standrads erfülle. Mindestens drohe eine Verlagerung der Produktion von Schutzkleidung sowie eine Vielzahl technischer Textilien, auf die sich Mittelständler in der Textilindustrie, beispielsweise Zulieferer der Automobilbranche, spezialisiert haben. Auch eine wachsende Abhängigkeit vom asiatischen Markt befürchtet Strauß. Die Produkte würden dort jedoch unter weit schlechteren Umweltbedingungen und teilweise auch ohne entsprechende Qualitätsstandards hergestellt, so Strauß. „Gerade die Coronakrise zeigt, dass es wichtiger denn je ist, unabhängiger von Importen zu werden. Wir müssten stattdessen die heimischen Produktionskapazitäten stärken. Die EU-Vorgaben bewirken das Gegenteil.“ Innerhalb so kurzer Zeit erneut die Produktion auf bislang unbekannte und noch nicht erprobte Ersatzstoffe umzustellen, sei nicht möglich, sagt Strauß. „Wir appellieren deshalb an die Politik, die bislang geltenden Übergangsfristen zu erhalten.“
[1] Europäische Chemikalienverordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe